Von Jendrik Schröder

Dieser Text ist nicht originell. Er ist es nicht, er will es nicht und er kann es nicht sein. Besteht er eben aus Gedanken anderer Menschen, gehüllt in Sätze, Worte und Symbole einer fremdkultivierten Sprache und gerahmt in gesamtgesesellscha liche Episteme und Dispositive. Wie jede Form der Produktion ist er nur die selektive Summe einer vorformulierten Welt.

Während die Idee der autonomen Autorscha im vordigitalisierten Zeitalter noch im Schatten seiner Un-mittel-barkeit gedeihen konnte, offenbart sich ihre Naivität heute im gleißenden Licht der medialen Digitalität. Doch seit wann existiert er überhaupt, dieser Diskurs des persönlichen Originals, die Vorstellung des genialen Autors? Die Antwort ist: erst seit kurzem. Wurde der Autor zunächst im Mittelalter nur mit einer gewissen Autorität verbunden, die ausschließlich rechtliche Grundlagen hatte, etablierte sich der Diskurs des Autors, wie er bis heute existiert, in Europa erst im 18. Jahrhundert. Die Genieästhetik des Sturm und Drang begriff den Autor erstmals als selbstständiges Subjekt, dessen Subjektivität als solche zelebriert wurde und somit zum Genie avancierte. Auch das Copyright trug seinen Teil dazu bei, die Idee des einen Autors kulturell und rechtlich zu manifestieren. Doch die technologischen Entwicklungen des 19. Jahrhunderts rissen die starre Idee des Originals in tausend Stücke. Die Fotografie machte es augenscheinlich möglich, die Welt zu samplen: also Ausschnitte der Welt herauszuschneiden – ohne dabei das Original zu verändern. Diese Grunddynamik, die der menschlichen Kultur prinzipiell schon immer immanent war, das produktive Zitieren, wurde nun radikal sichtbar. Die Pop-Art repräsentierte diese Entwicklung in all seiner Konsequenz: Sie benutze bestehendes Material, setzte es fragmentiert zusammen, manipulierte und verfremdete es, ohne dabei jedoch je seinen Ursprung zu leugnen. Im Gegenteil: Sie bediente sich bewusst und emphatisch der Semantik des Ausgangmaterials. Sie kann so als vokale Begründung unserer postmodernen Remix-Kultur gelesen werden. Wie aber ließe sich jene sich Remix-Kultur definieren, was ist das Neue an ihr? Vielleicht kann die Antwort lauten: Sie ist eine Kultur, in der das Geschaffene dem Gegebenen vorgezogen wird. Eine Kultur, die immer auf dem aufbaut, das sie bereits erbaute. Eine Kultur, die sich selbst sampled und ihr eigener Remix wird. Und welcher Autor könnte in einer solchen Welt noch seine eigene Originalität postulieren?

Wie stabil ist aber jener Diskurs der Autorschaft? Öffnet man seinen westlich-zentrierten Blick für einen Moment, stellt man fest, dass die Idee des genialen, autarken Autors nicht in der menschlichen, sondern höchstens in der westlichen Kultur festgeschrieben ist und wurde. Francois Jullien untersucht diesen Kontrast z w i s c h e n der östlichen und westlichen Philosophie und argumentiert, dass sich der westliche Philosoph vor allem

durch den Abstand zu seinen Vorgängern definiere, „während die Eigenschaft des Weisen, wie uns die Chinesen sagen, darin besteht, dahin zu gelangen, zu denken „wie alle anderen“, indem er alle Sichtweisen in seiner Sichtweise zusammenfallen lässt.“ (Jullien 2008, 119) Symptom dieses (Un-) Verständnisses der Autorschaft ist beispielsweise die asiatische ShanZhai Kultur – die im Westen passenderweise eher als Fake-Kultur bekannt ist: Die Kopie des Anderen wird nicht versucht, um jeden Preis zu umgehen, sondern konsequent zelebriert. Aber auch in der westlichen Philosophie herrscht kein uneingeschränkter Konsens über die Rolle des Autors mehr. Einige argumentieren, „that a text does not release a single meaning (…), but that a text is rather a „tissue of citations“ born of a multitude of sources from culture“ (Diakopoulos, Luther, Medyniskiy, Essa) und verstehen den Autoren so als eine Art Kollaborateur. Roland Barthes, der diesen Diskurs um die Autorschaft mit Foucault maßgeblich hinterfragend prägte, schreibt weiter:

„A text is made of multiple writings, drawn from many cultures and entering into relations of dialogue, parody and contestation, but there is one place where multiplicity is focused and that place is the reader, not (…) the autor.“ (Barthes 1977, 148)

So verlagert er den Fokus des Werks vom Produzenten hin zum Rezipienten. Barthes bezieht seine Beobachtungen sogar nur auf die Moderne Gesellschaft. Unter den besprochenen Prämissen der postmodernen Kulturentwicklung wird deutlich, dass die Rolle des Autoren, wie sie im Westen – und in Anbetracht der westlichen Hegemonie mittlerweile fast überall auf der Welt – vertreten und durch das Copyright unterstützt wird, grundliegend und grundsätzlich diskutiert werden sollte.

Das Internet schließlich löste die Welt endgültig von ihrer Materialität. Informationen überwanden so den Ort und die Zeit: Das Prinzip der Pop-Art manifestiert sich unsichtbar in jedem Bereich der kulturellen Praxis und macht den Remix zum kulturellen Fundament der Postmoderne. Liest man die Kultur in einer solchen Weise, scheinen die Copyright- Gesetze in einer digitalisierten Welt wie verstaubte Relikte einer illusionären Welt. In dieser akzelerierten, postmodernen Welt, in der sich die Art und Weise der Informationsverteilung so radikal gewandelt hat, muss f o l g l i c h auch die Rolle des Autoren grundlegend hinterfragt werden. Dies sollte in Hinblick auf das Copyright rechtlich geschehen – aber auch kulturell und moralisch sollte das Selbstverständnis des genialen Autors hinterfragt und zeitgemäß eingeordnet werden. Hier lohnt es sich, den Blick einmal von der westlichen Selbstverständlichkeit abzuwenden – denn es scheint, als ob die östliche Philosophie bereits einige Antworten auf diese Fragen hat, die heute so relevant scheinen wie nie zu vor.

Literatur

Barthes, Roland (1977): The Death of the Author. Image Music Text (New York: Hill and Wang) Benjamin, Walter (1996): Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit.

(Berlin: Suhrkamp)

Diakopoulos, Nicholas; Luther, Kurt; Medyniskiy, Yevgeniy „Eugene“; Essa, Irfan (2007): The Evolution of Authorship in a Remix Society. In: Proceedings of the eighteenth conference on Hypertext and hypermedia (S. 133-136). (New York: ACM)

Han, Byung-Chul (2011): ShanZhai. Dekonstruktion auf Chinesisch. (Berlin: Merve) Horkheimer, Adorno (1988): Dialektik der Aufklärung. (Berlin: Fischer)

Jameson, Frederic (1991): Postmodernism or, The Logic of Late Capitalism. (Durham: Duke University Press)

Jullien, François (2008): Unterwegs. Strategie und Risiken der Arbeit François Julliens. In: Jullien, François et al. Kontroverse über China. (Berlin: Merve)

Navas, Eduardo (2012): Remix Theory: The Aesthetics of Sampling. (Wien: Springer)

Lessig, Lawrence (2006): Free(ing) Culture for Remix. In: Open Source Jahrbuch 2006. (Robert A. Gehring Hrsg.)

Schreibe einen Kommentar